Donnerstag, 6. Januar 2011

Anekdoten aus der Heimat ..

So wa(h)r es
Wir verbringen das erste mal Weihnachten in Polen, widerwillig stimmte ich zu als mich meine Mutter darum bat. Ich wusste, ich würde mich nicht wohlfühlen, denn ich verlor schon vor Jahren den Bezug zu meinem Heimatland, litt schon seit Tagen unter Stimmungsschwankungen und wusste nicht warum. Ich war ständig wütend, hätte am liebsten alle Menschen die mir begegneten,vernichtet. Ich hatte schon komische Vorstellungen, ich sah mich als Godzilla ganz Berlin niedertrampeln, der Fernsehturm brannte lichterloh, burn motherfucker, burn, das Brandenburger Tor hatte ich mit einem Tritt geteilt, und der gesamte Kudamm bildete einen Fluß, einen Fluß aus Menschenblut.Für einen Augenblick brachte mir diese Vorstellung Wohltun.Als diese Wirkung schließlich nun auch immer weiter nachließ wandelte sich der Hass in Traurigkeit, in tiefe, tiefe, Traurigkeit. Mädcheeeeeeen, hör uff zu heulen, redete ich mir ein, ich hasse, hasse, hasse schwache Menschen, diese kleinen labilen Kreaturen, nenne ich sie immer verachtend. Nun nun bin ich eine von ihnen, seit Wochen. Ich stellte mir vor, wie ich Selbst vor mir stehe und mich abwertend von oben nach unten ansehe, mit einer Hand locker in der Hüfte, bis ich mit einem Fingerschnippsen und einer eingebildeten Kopfbewegung an mir selbst vorbei zische. Das andere Ich würde einen verdammten Nervenzusammebruch erleiden und sich selbst in eine psychatrische Klinik einweisen.
Heilig Abend verbringen wir bei meiner Uroma, mit meinem Onkel, zudem ich ein sehr gutes und lockeres Verhältniss habe. Ich besuchte eine Zeitlang eine Dolmetcherschlung in Polen und jobbte in seiner Bar " Tequila Pub". Aufgrund des Klientels dieses Pubs, lernte ich erstmals mit sexistischen Witzen umzugehen. Pro Witz gab es eine Schelle, pro Blick auf meine Brüste, meinen Hintern, und sonstige andere Zweideutigkeiten wurden sofort mit Handgreiflichkeiten oder Hausverbot bestraft. Ich bekam eine grooooooooße Klappe und mein Onkel erteilte mir Unterricht wie man einen Mann schnell und einfach in die Knie zwingt, immer mit der Handfläche sagte er, immer schön mit der Handfläche. Ich musste mir um meine eigene Sicherheit keine Sorgen machen, denn er selbst hat mit seinen 1,90 schon den einen oder anderen, mit festem Griff am Kragen aus dem Pub getragen. Viele fürchteten ihn und hatten Respekt. Weniger lustig fand er, als ihm immer mehr die Kundschaft ausblieb, dies ließ sich natürlich auf mich zurückführen, auf mich und meine große Klappe und die Schellen und Hausverbote die ich nach Lust und Laune verteilte.
Mein Onkel hatte unfassbar viel gekocht Heilig Abend, traditionell Karpfen. Karpfen gebraten, Karpfen gebacken, in Meerettich, in Essig, mit Eiern mit diesem und jenem, um es auf dem Punkt zu bringen nichts was mir schmeckt. So kochte er extra für mich eine Suppe, denn in Polen war am 24.12 Fleisch strengstens verboten, aus religiösen Gründen, versteht sich. Am frühen Vormittag hatten die Geschäfte noch geöffnet und ich erledigte noch ein paar Bersorgungen. Eine von ihnen war es eine offene Fleischerei zu finden. Ziel war ein dickes Würstchen mitten auf der Fußgängerzone meiner polnischen Heimatstad genüßlich zu verspeisen, um es dann auf Facebook zu posten. Nichts da, sämtliche Fleischerein hatten geschlossen, schade, keene Wurst auf Facebook. So aß ich die Suppe und schwieg unzufrieden vor mich hin. Mir kam sehr gelegen das meine Mutter den Fisch nicht vertragen hatte und wir aufgrund ihrer Übelkeit und Magenprobleme nach dem Abendessen direkt zu unserer Bleibe fuhren. Nice, dachte ich, keine blöden Verwandten die man noch besuchen muss um anschließend gute Laune vorzutäuschen. Ich lag im Bett und stellte fest das der Karpfen zwar nervig war und die Kotzerei meiner Mutter bemitleidenswert aber es lenkte mich von meiner eigenen Depression ab, so ärgerte ich mich doch das der Abend viel zu schnell rum war, meine Fresse, man kann es Dir auch nicht recht machen wa. Ich schüttelte den Kopf und drehte mich auf dem Bauch. Irgendwann schlief ich ein.
Erster Weihnachtstag, ich wunderte mich in der Frühe über eine doch durchaus neutrale Laune, freute mich auf die Dusche und Milchkaffee. Ich entkleidete mich schnell, stellte mich unter die Dusche, schloß schnell den Vorhang, weil mir auffiel wie kalt das Bad ist, egal, nicht ärgern dachte ich, und das geht verdammt schnell, vorallem morgens, und wenn morgens dann zieht es sich schön durch den ganzen Tag. So drehte ich das Wasser auf, es war kalt, egal, dauert dachte ich, ich stellte mich ein Stück daneben, der kalte Strahl erwischte trotzdem Beine und Füße, das Wasser wurde nicht warm, immer noch nicht, immer noch nicht, immer noch nicht, mit jedem " immer noch nicht " Stieg mein Puls, das Blut kochte in mir. Ich steig wütend aus der Dusche, wickelte mir ein Handtuch um den Körper, öffnete energisch die Tür und wies meine Tante in einem forderndem Ton auf das das kalte Wasser hin, sie rannte in den Keller um den Offen zu checken, ich verstand nicht was ein Offen im Keller mit der Dusche zu tun hatte, egal, hauptsache es wird warm. Nun müsste es warm sein, ich sollte es überprüfen, natürlich wurde es nicht warm, auch nicht in einer halben Stunde, nein, man stellte fest das der Frost der letzten Nacht irgendetwas außer Betrieb gesetzt hatte. Auf meine Frage ob wir in Nowosibirsk sind wollte mir scheinbar keiner antworten. So zog ich mich wieder an und setze mich an den Frühstückstisch, ich sah mich um, fragte nach der Milch für meinen Kaffee, keine mehr da, auf meine Frage ob man in Nowosibirsk die Kühe kurz vorher melken muss, um an Milch zu kommen, wollte mir auch keiner antworten.
Nachdem ich wenigstens das Milchkaffee trinken bei Verwandten nachholte, mich mit traditionellem Mohnkuchen vollgestopft hatte fuhren wir zum Friedhof, warum nicht, meiner Oma zu Weihnachten eine Kerze anzünden? Klingt gut, außedem habe ich ihr Grab schon länger nicht mehr besucht, also fuhr ich fest entschloßen und voller christlicher Nostalgie in meinem Herzen mit meiner Mutter und meiner Tante zum Friedhof. Übrigens ist ein Friedhof, kurz nach der Kirche der meistbesuchte Ort in Polen, es taumeln sich immer, wirklich immer irgendwelche Menschen auf einem Friedhof, meist sind es alte Omis, wie grotesk eigentlich, auf jeden Fall taumeln sie sich dort eben rum. Auf so einem Friedhof werden Wettbewerbe ausgeführt, passend zur Jahreszeit gibt es Kerzen, Plastikblumen und Gesteck. Wer hat die schönsten Plastikblumen auf dem Grab seiner Verwandten, welches Grab ist bis jetzt das größte und tuerste, welches Grab ist am gepflegtesten, welches am verwarlosesten, welche Grabsteinfarbe ist jetzt total in welche geht überhaupt gar nicht mehr, wo wird man liegen wenn man selbst tot ist, welche Sargfarbe und Grabsteinfarbe möchte man, vom welchen Grab wurde als letztes irgendein Plastikgesteck geklaut, ja in Polen wird tatsächlich von den Gräbern geklaut. Auf einem Kaffeeklatsch solch älterer Damen, meine Uroma gehört auch zu diesem Mean Girls Club, wird sich zu achtzig Prozent darüber unterhalten. Was meint ihr was erst bei Beerdigungen abgeht, wohoo! Voller Enthusiasmus steige ich aus dem Wagen, es hatte geregnet in der Zeit als ich mich mit, in Teig getarntem Opium vollstopfte, und kurz darauf muss es gefroren haben, stellte ich fest, denn ich lief mit meiner Kerze in der Hand auf einer dicken Eiskruste vom Parkplatz über die Straße um zum Friedhof zu gelangen. Angekommen drückt mir meine Mutter eine weitere Kerze in die Hand und fordert mich auf allein zum Grab zu gehen, da sie bereits schon da war und sie nun mit meiner Tante zum Grab meines Onkels möchte. Nun gut, Grabstein an Grabstein, dazwischen hohe Schneeberge besäät mit Eis, und schicke Stiefel ohne Profil. Meine Laune wurde von Grabstein zu Grabstein schlechter, mein Puls war wie der eines Leistungssportlers. Ich fange an mich an den Gräbern fest zu halten. Das von Grab zu Grab Prinzip funktioniert wunderbar bis ich merke das immer mehr Gräber mit Eis bedeckt sind und ich nun auch mit den Händen abrutsche. Meine Laune erreicht ihren absoluten Minuspunkt als ich merke das ich mich nicht mehr halten kann, ich rutsche schön mit beiden Beinen zwischen zwei Gräber nach vorn und halte mich zu guter letzt an den oberen Grabsteinen fest, zwecklos, beide Hände rutschen. Nun liege ich zwischen zwei Gräbern, links neben mir Adam Michalewski, rechts Jolanda Koczynska, Karolina Woznicka in der Mitte. Total angepisst lege ich meinen Kopf auf die Eiskruste hinter mir, holle eine Kerze aus meinem Mantel, zünde sie an und stelle sie mit beiden Händen auf meinen Brustkorb. Swing low, swing cheriot, summe ich vor mich hin.
Karolina Woznicka
( Auszug aus einer Kurzgeschichte von mir ... )

1 Kommentar:

  1. Mehr, mehr... schrie der kleiner Häwelmann.
    Will mehr lesen, noch viel mehr.

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